Meine Leidenschaft für Musicals: kein Geheimnis. Dass ich 2017 im Durchschnitt jeden Monat ein Musical besucht habe: vielleicht überraschend. Dass “Tarzan” in Oberhausen nie auf meiner Wunschliste stand: unvorstellbar! Wer wissen möchte, warum und wieso, kann einfach in Ruhe weiterlesen. Wen nur interessiert, wieso ich mich doch noch verliebt habe, springt einfach zur Rezension.

© Stage Entertainment/Morris Mac Matzen

Vorgeschichte

Es war DIE Lieblingssendung von meiner Mama und meinen Schwestern. Damals wurden im Rahmen einer Castingshow die Darsteller für die deutsche “Tarzan”-Produktion gesucht und meine Familie war hin und weg. Leider hatte ich damals wenig Zeit und habe die Show nicht mitverfolgen können. Demnach habe ich nie verstanden, wer dieser “grandiose Anton” ist oder was an dem Musical so besonders sein soll. Vor allem die Kombination aus echten Menschen und Darstellern, die Gorillas spielen, hat mich immer etwas irritiert. Denn bis zu dem Zeitpunkt lebten Musicals für mich von den tiefen, menschlichen Emotionen und der entsprechenden Darstellung. Dann habe ich eins der Lieder gehört. Wer jetzt denkt: kennt die etwa den Disneyfilm nicht?, der liegt daneben. Ich kenne und liebe den Klassiker, aber das Musical lebt von mehr als “Zwei Welten” oder “Dir gehört mein Herz”. Stattdessen gibt es 18 Songs (Reprise eingeschlossen), die von klasse bis großartig alles abdecken. Nach und nach wurde ich also zu einem Fan der Lieder und hätte mich nicht mehr freuen können, als es zu Weihnachten 2016 Karten gab! Zwei Monate später war es soweit und mein Freund und ich fuhren nach Oberhausen. Im Juli dann gleich ein zweites Mal.

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Handlung

Durch ein schweres Schiffsunglück strandet eine junge Familie mitten im Dschungel. Nachdem sie sich ein neues Leben in Form eines Baumhauses aufgebaut haben, werden sie von einem Leoparden aufgespürt. Schnell versteckt die Mutter ihren Säugling in einer Truhe, bevor sie und ihr Mann das Leben verlieren. Karla, eine Gorilladame, die ihr eigenes Baby an den Leoparden verloren hat, hört die Schreie und findet das Kind. Sie gibt ihm den Namen Tarzan und entscheidet sich, es in ihrer Sippe großzuziehen. Eine Entscheidung, die zu einem besonderen Konflikte mit ihrem Mann Kerschak führt, der als Sippenführer große Gefahr in dem kleinen Menschen sieht. Dennoch gestattet er, dass Tarzan bleiben darf – bis dieser seine erste Waffe baut …

© Stage Entertainment/Morris Mac Matzen

Rezension

Schon beim Betreten des Saals weiß man, dass einen etwas Großartiges erwartet. Als Vorhang flattert ein riesiges Tuch im Wind, auf dem ein Schiff hin und her wiegt. Links und rechts gibt die verlängerte Bühne einen ersten Eindruck von der Dschungelwelt und hebt man den Blick im Saal, sieht man zwei große Leinwände. Darauf kann man die Logbucheinträge des Kapitäns lesen, auf dessen Schiff sich Tarzans Familie befindet. Ein spannendes Detail, das einen direkt in die Geschichte zieht – auch wenn es um einen herum noch laut und wuselig ist.

Spätestens, wenn die Begrüßung verklungen ist, sind alle still. Der erste Ton und jeder zuckt zusammen – gespannt, erwartungsvoll, vielleicht erschrocken. Wer sich an den Anfang des Films erinnert, weiß, was passiert. Und er wird sich vielleicht fragen, wie man ein Schiffsunglück und das Stranden auf einer einfachen Bühne darstellen möchte. Die Antwort: indem man kreativ die ganze Höhe ausnutzt. Schon in den ersten Minuten wird deutlich, dass es sich hier um kein gewöhnliches Stück handelt, sondern alle Darsteller schwindelfrei sein sollten.

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Mit den ersten Szenen wird auch gleich das erste Lieder angestimmt, das jeder kennen dürfte. “Zwei Welten” ist der Klassiker unter den Tarzan-Songs und begleitet die ganze Anfangsgeschichte der Charaktere. Gesungen vom erwachsenen Tarzan (Josh Strickland, alternierend Rune Høck Møller) lernt man seine Eltern kennen, erlebt ihren tragischen Tod und sieht, wie er von der Affendame Karla adoptiert wird. Mir wurde so zum ersten Mal die Bedeutung des Textes bewusst. Anders formuliert: schon nach fünf Minuten hatte ich die ersten Tränen in den Augen.

Ein weiterer Klassiker folgt auf dem Fuße. “Dir gehört mein Herz” ist eines meiner Lieblingslieder und nie habe ich es so schön gesungen gehört wie von Sabrina Weckerlin als Karla. Wer eine der zärtlichsten und gleichzeitig kraftvollsten Stimmen hören will, sollte einmal nach Sabrinas Darbietung auf YouTube suchen. Inzwischen wird die Rolle führend von Sophia Wezer übernommen, die ebenso toll sein soll. Mit Abschluss des Liedes ist Tarzan bei seiner neuen Familie angekommen und wir kennen den Konflikt, den dieses Musical begleiten wird: Kerchak kann das Menschenkind nicht als seinen Sohn akzeptieren.

Apropos Kerchak. Ich habe sowohl Andreas Lichtenberger als auch Patrick Stanke in der Rolle kennenlernen dürfen und es ist Geschmackssache. Beide sind gesanglich sehr gut und sehr verschieden. Ich persönlich bin ein Fan von Andreas’ Inszenierung, da er mit seiner kraftvollen Stimme andere Akzente setzt. Patrick Stankes Version ist trotzdem grandios und wir hatten auch beim zweiten Besuch sehr viel Spaß an seinen Liedern. Ich kann mir gut vorstellen, dass man Patrick lieber mag, sofern man das Musical zum ersten Mal sieht. Schauspielerisch können beide überzeugen.

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Der wichtigste Sidekick von Tarzan ist der Affenjunge Terk – richtig gelesen: Affenjunge. Hier gibt es die wohl größten Änderungen zum Disneyfilm. Aus Terkina wurde ein waschechter Terk und wer sich auf den süßen, phobischen Tantor gefreut hat, den muss ich enttäuschen. Dafür macht Massimiliano Pironti seiner Rolle alle Ehre und sorgt für so gute Stimmung, dass man den fehlenden Tantor schnell vergisst. Inzwischen wird die Rolle von Jeffrey Socia übernommen.

Mit dem Erscheinen von Jane (Tessa Sunniva van Tol) und ihrem Vater gewinnt das Stück zwei liebenswürdige Charaktere dazu. Tessas niederländischer Akzent ist deutlich zu hören, macht ihre Darbietung von Jane jedoch nur noch besser. Die blonde Tochter des Professors läuft mit unverhohlener Neugier durch die Welt, möchte alles mit eigenen Augen sehen und bringt sich somit in die ein oder andere gefährliche Situation. Wer jetzt versucht, sich an Janes Filmlieder zu erinnern, der wird zu dem Ergebnis kommen, dass es keine gibt. Im Musical bekommt sie zum Glück diverse Highlightstücke, sodass man mehr als einmal in den Genuss von Tessas Gesang kommt.

© Stage Entertainment/Morris Mac Matzen

Wie anfangs bereits erwähnt, zieht einen das Bühnenbild schnell in seinen Bann. Wer glaubt, er könnte sich schnell an das Setting gewöhnen oder gar langweilen, liegt weit daneben. Stattdessen lebt das Musical von einem bunten, vielfältigen Dschungel, der trotz gleichbleibenden Hintergrundes immer neu und spannend wirkt. Hinzu kommen ein tolles Make-up und Kostümdesign. Bunte Elemente machen die Hauptcharaktere auf den ersten Blick sichtbar, wirken jedoch nicht fehlplatziert. Wem das noch nicht reicht, der muss sich von der Choreografie überzeugen lassen. Denn egal, ob man in Reihe 25 oder 5 sitzt: man ist immer mittendrin.

Um zum Schluss auf die Geschichte zurückzukommen. Im Vergleich zum Film gibt es mehrere Änderungen, die auffallen und solche, die man erst später bemerkt. Sorge haben, dass alles anders wäre, muss man jedoch nicht. Stattdessen wirkt der Plot noch runder, ausgereifter und beinhaltet Sätze, die zum Nachdenken anregen (Stichwort: Ausbeutung der Natur). Größere Änderungen wie Tarzans und Janes erste Begegnung sind außerdem auf die Bühne zurückzuführen. Denn nicht alles, was man zeichnen kann, lässt sich auf ein reales Setting übertragen. Dabei gibt sich “Tarzan” hier größte Mühe – mit Erfolg.

© Stage Entertainment/Morris Mac Matzen

Fazit

Ich bin ein Fan davon, meine Highlights hervorzuheben, aber in diesem Falle fällt es mir schwer. Sowohl visuell als auch gesanglich konnten mich beide Vorstellungen restlos überzeugen. Es gibt zahlreiche Gänsehaut-Lieder, akrobatische Stunts und schauspielerische Meisterleistungen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle keine Lieblingsszene benennen, sondern eine große Empfehlung für “Tarzan” aussprechen. Wer Musicals mag, das Neue liebt und gerne das Gefühl hat, “mittendrin” zu sein, den wird Tarzan nie wieder loslassen. Kein Wunder also, dass der nächste Besuch bereits geplant ist.

Habt ihr Tarzan in Stuttgart oder Oberhausen gesehen? Wie gefällt euch die Inszenierung des Stücks und gab es für euch Highlight-Momente? Oder steht es noch auf eurer Wunschliste?

Liebe Grüße,